GROSSÜBUNG: Schnelle Hilfe für kontaminierte Verletzte

 

29.06.2014 - 10:00

Hemer/Kreis. Schreckenszenario unterm Jübergturm: Dutzende Besucher sind nach einer Explosion durch chemische Stoffe verletzt worden. Ammoniak hat Schleimhäute und Augen gereizt, die Haut verätzt, hinzu kommen offene Wunden, Knochenbrüche, Schnittverletzungen und Kreislaufversagen.

Der Bevölkerungsschutz des Märkischen Kreises gibt in Anbetracht der Massen an dekontaminierten Verletzten das Alarmierungsstichwort „V-Dekon 50 NRW“ und löst damit einen Großeinsatz der Rettungseinheiten aus. Feuerwehren, DRK, THW, Johanniter, Malteser, ASB und Notärzte eilen zum Einsatzort. Für über 200 Einsatzkräfte zählt jetzt jede Minute.

Neues Einsatzgerät
Was dann passiert, konnten die Besucher der Hemeraner Sicherheitstage am Wochenende live erleben. Die Panzerplatte am Sauerlandpark wurde zum großen Dekontaminationsplatz für Verletzte. Erstmalig übten die verschiedenen Rettungseinheiten diese Hilfe nach atomaren, biologischen oder chemischen Unfällen gemeinsam mit neuem Einsatzgerät. In Lendringsen ist der durch das Land NRW angeschaffte Dekontaminationscontainer stationiert, in Hemer sind die Spezialisten für das Dekontaminationszelt. Hinzu kommt der aus mehreren Zelten und medizinischem Gerät bestehende mobile Behandlungsplatz. Eine gewaltige Zeltstadt füllt die Panzerplatte, in maximal 60 Minuten soll sie im Ernstfall stehen, damit Menschenleben gerettet werden können. So beschleunigen aufblasbare Zelte den Aufbau. Die Logistik ist enorm. Stromerzeuger, Gebläse, Zelt- und Wasserheizung ermöglichen autarkes Arbeiten.

Notärzte in Schutzanzügen
Während Rettungssanitäter die Behandlungsplätze vorbereiten, steigen Notärzte und Sanitäter in neongelbe Gebläseschutzanzüge, der Kinohit „Outbreak“ lässt grüßen. Die Anzüge sollen die Helfer vor den Giftstoffen schützen, machen sie zu grobmotorischen Marsmännchen. Erstmalig schlüpfen auch Notärzte in den Gebläseanzug. Er gewährleistet den Einsatz von medizinischem Personal ohne Atemschutztauglichkeit. Feuerwehrleute ziehen Vollschutzanzüge und Schutzmasken an, dann muss alles ganz schnell gehen. Die ersten Verletzten (Darsteller des Jugendrotkreuzes) treffen in der Einsatzstelle ein. Sie müssen vordringlich dekontaminiert werden, um die weitere Behandlung zu ermöglichen. Dadurch soll vermieden werden, dass das Gift in den Rettungswagen und Krankenhäusern weiter verbreitet wird und weitere Menschen verletzt. Ein mahnendes Beispiel für die Rettungseinheiten ist der Giftgasanschlag in Tokio, bei dem zahlreiche Einsatzkräfte vergiftet wurden.

So werden die noch gehfähigen Verletzten in das Zelt der Hemeraner Feuerwehr gebracht. Dort werden sie entkleidet, und unter die Dekontaminationsdusche mit 28 Grad Wassertemperatur geführt: Duschen eine Minute, Einseifen drei Minuten, Abduschen zwei Minuten. Mit Ersatzkleidung geht es zur Weiterbehandlung.

Fließband für Verletzte
Nicht mehr gehfähige Verletzte werden im Dekontaminationscontainer liegend weiterbehandelt. Das heißt, die Kleider werden vom Leib geschnitten, offene Wunden erstversorgt. Hier zeigt sich, wie eingeschränkt die Beweglichkeit der Ärzte in Schutzanzug und dicken Gummihandschuhen ist. Die winzigen Gummis der Schutzbrillen sind kaum zu greifen, manches ist zu kleinteilig gefertigt. Die Verletzten werden auf einem Transportbrett auf die Rollenrutsche gehoben. Hier werden sie durch die Duschanlage geschoben und dekontaminiert. Abgetrocknet und in Rettungsdecke gehüllt tragen Sanitäter die Schwerverletzten in die Behandlungszelte. „Der erste Patient konnte nach 40 Minuten abtransportiert werden. Ich hatte mit eineinhalb Stunden gerechnet. Die medizinische Versorgung hat hervorragend geklappt“, bilanziert die ärztliche Leiterin des Rettungsdienstes, Dr. Schürmann-Lipsch.

50 Verletzte in der Stunde
Manche Abläufe konnten bei der zweiten Übung am Sonntag schon optimiert werden. „Ich bin erstaunt, dass es extrem gut gelaufen ist. Technisch hat alles funktioniert. Wir hatten die Verletzten schnell und gut versorgt“, spricht auch Simone Langhammer vom Bevölkerungsschutz MK allen Einsatzkräften ein Lob aus. Nach dem NRW-Konzept soll der Dekontaminationsplatz 50 Verletzte in einer Stunde durchschleusen können. Diese Zahl scheint jedoch eine eher theoretische Vorgabe. Nicht nur manchem jungen Verletztendarsteller war das ganze Szenario „ziemlich unheimlich“. Auch wenn die über 200 Retter gut vorbereitet sind, hoffen alle, dass der Ernstfall nicht so schnell eintritt.

Quelle: DerWesten.de - Ralf Engel